Er ist ein Koloss von Berg, der 4314 Meter hohe Grand Combin, eine Bastion aus Fels und Eis im Unterwallis. Auf der Tour des Combins kommt man seiner faszinierenden Welt besonders nah und quert seinen Gletscher auf einer spektakulären Hängebrücke.
Das Matterhorn hat einen, der Monte Rosa auch, natürlich führt einer um den Mont Blanc, genauso wie um die Dents du Midi, den Grossglockner und die Dolomitengipfel Drei Zinnen. Die Rede ist von Fernwanderwegen, welche die bekannten Alpengipfel umrunden, auf Touren von drei bis zwölf Tagen Länge. Klar – die Berühmtheiten erklimmt man dabei nicht. Dafür lernt man sie von allen Seiten kennen, und die Touren sind für normal geübte Bergwandernde bestens machbar.
Die Tour des Combins bringt uns nah an den Grand Combin, 4314 Meter hoch, ein für Wanderer unbezwingbarer Berg. In sechs Tagen führt die Tour um das eindrückliche Massiv im südwestlichen Wallis, meist auf Schweizer Seite, zum Teil auf italienischer. Jede Etappe ist an sich eine Reise wert. Wer mehrere zusammenhängt oder die ganze Umrundung in Angriff nimmt, erlebt eine Fülle an Eindrücken und Landschaftsbildern.
Wir haben uns für einen Teil der Tour des Combins entschieden, in zwei Tagen von Mauvoisin nach Lourtier. Bereits bei der Planung beeindruckt, was uns erwarten wird: eine der höchsten Staumauern im Alpenraum, zwei Passübergänge, der fünft grösste Schweizer Gletscher, eine schwindelerregende Hängebrücke, zwei gemütliche Berghütten, viele Kilometer Panoramawege und zum Abschluss der Blick auf den Mont Blanc. Nicht zu vergessen die Begegnungen mit den Eringer-Kühen, bekannt von den Walliser Kuhkämpfen.

Die Staummauer zum Start
Der Grand Combin liegt nicht vor der Haustüre, die Anreise zieht sich. Über unzählige Kehren schraubt sich das Postauto von Le Châble ins schmucke Val de Bagnes. Steil ragen links und rechts dicht bewaldete Hänge empor, im Talgrund rauscht das Gletscherwasser der Dranse, zwischendurch grüssen verträumte Dörfer wie von anno dazumal. In Mauvoisin ist Schluss. Endlich. Die urtümliche Natur im Val de Bagnes hat schon lange Lust gemacht aufs Wandern. Doch halt, da war noch was. Wer sich für Wasserkraft interessiert, darf den Lac de Mauvoisin nicht auslassen. 250 Meter hoch ist seine Staumauer, die zweithöchste der Schweiz und die grösste Bogenstaumauer Europas.
Als Ausflugsziel scheint der Lac de Mauvoisin beliebt, auf dem Parkplatz stehen die Autos dicht an dicht. Ungleich ruhiger ist es auf dem Wanderweg, der uns schweisstreibend in die Höhe bringt, dem Col des Otanes entgegen, 2880 Meter über Meer. Drei Wanderstunden und tausend Höhenmeter später stehen wir auf dem Pass – und sagen nur noch «Wow». Vor uns türmt sich der Grand Combin, und fast zu unseren Füssen zieht sich der mächtige Corbassière-Gletscher das Tal hinunter. Zu Recht wird die Landschaft immer wieder mit dem Himalaya verglichen.
Duschen mit Gletscherblick
Der Grand Combin bleibt uns für den Rest des Tages erhalten: Unsere Unterkunft , die Cabane FXB Panossière, liegt oberhalb der Gletscherzunge, von der Terrasse hat man die ganze Arena im Blick. Von der Freiluft Solardusche auf der grossen Sonnenterrasse aus übrigens auch – schöner kann man sich den Schweiss nicht vom Körper waschen. Im Aufenthaltsraum der geräumigen Hütte fällt sodann eine Büste auf. Sie erinnert an den Helikopterpiloten François Xavier Bagnoud, der in Mali sein Leben verloren hat. Die Stiftung, die zu seinem Andenken errichtet worden ist, hat den 1996 eingeweihten Bau finanziert und der Gemeinde Bagnes geschenkt. Acht Jahre zuvor hatte eine Lawine die alte Hütte weggefegt.

Mit Tiefblick über die Hängebrücke
Am zweiten Wandertag stossen wir auf die Geschichte einer weiteren Persönlichkeit. Eine 190 Meter lange und 70 Meter hohe Hängebrücke bringt seit 2014 die Wanderer sicher über den Corbassière-Gletscher. Ihr Bau wurde nötig, weil sich der Gletscher stark zurückzieht und ein bröckelndes Gelände hinterlässt. Dieses setzte dem alten Weg so stark zu, dass dessen Begehung zu gefährlich wurde. Schirmherr der imposanten Hängebrücke ist Toni Rüttimann. Der Bündner konstruiert in Lateinamerika und Südostasien unentgeltlich Hängebrücken, um armen Menschen das Leben zu erleichtern und sie sicher übers Wasser zu bringen. Über 800 Stück sind bereits entstanden, und Toni Rüttimann baut fleissig weiter.

Absturz nach Lourtier
Die weitere Tour verlangt uns noch einiges ab, der Abstieg nach Lourtier ist lang und happig, aber wunderschön. Doch erst einmal geht es – oh Schreck – wieder bergauf, und zwar steil. Der Col des Avouillons lädt zum Besuch und zu einem letzten Blick auf das Combin-Massiv und die Hängebrücke. Wer nicht mehr aufsteigen will, wählt nach der Brücke den Weg untendurch, passiert dabei Herden stolzer und friedlicher Eringer-Kampfkühe und sieht sich an der blühenden Blumenwelt satt. In der Cabane Brunet treffen sich die Pass- und die Kuhwanderer wieder, auf der Terrasse gibt es hausgemachte Suppe und frischen Kuchen. Danach heisst es, seinen Knien gut zuzureden. Durch einen ausgesprochen steilen Wald stürzt der Weg dem Weiler La Barmasse und dem Talboden des Val de Bagnes entgegen, manchmal hat man das Gefühl, man fliege eher, als dass man wandere. Wer es etwas sanft er haben möchte, wählt den etwas längeren Weg über Le Tongne. Haben die Knie durchgehalten, ist auch das urige Dorf Lourtier nicht mehr weit. Am grossen Dorfbrunnen kann man seine Wasserflaschen wieder füllen für die Heimreise – und die heissgelaufenen Füsse kühlen. Danken werden sie es einem alleweil.

Tipps und Informationen zur Wanderung Grand Combin
An- und Rückreise: Mit Zug und Bus über Martigny und Le Châble nach Mauvoisin. Zurück mit dem Bus von Lourtier nach Le Châble, von hier mit dem Zug nach Martigny.
Route: Mauvoisin–Col des Otanes–Cabane FXB Panossière (Übernachtung)– Passarelle de Corbassière–Col des Avouillons oder La Maye–Cabane Brunet–La Barmasse oder Le Tongne–Lourtier.
Anforderungen: Trittsicherheit und gute Kondition erforderlich. Viele Höhenmeter. Wanderzeiten: Mauvoisin–Cabane FXB Panossière: 4,5 Stunden; Cabane FXB Panossière–Lourtier 4,5 bis 5 Stunden.
Übernachtung: In der Cabane FXB Panossière (T 027 771 33 22, www.panossiere.ch), geöffnet von Mitte Juni bis Mitte September. Reservation erforderlich.
Karten: Swisstopo 1:50 000, Wanderkarten Martigny (282T) und Arolla (283T); Swisstopo 1:25 000, Kartenblätter Orsières (1345) und Chanrion (1346).
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NATURZYT Ausgabe Juni 2024, Text/Fotos Daniel Fleuti