Einst suchten Kelten und Römer Zuflucht auf den Jurahügeln im Aargauer Fricktal. Heute finden Erholungssuchende und Abenteuerlustige am Tiersteinberg ein Stück Wildnis am Rand der Zivilisation.
Gewisse Regionen offenbaren ihren Charme erst auf den zweiten Blick. Gipf-Oberfrick und Wittnau sind zwei unscheinbare Strassendörfer im Aargauer Fricktal, umgeben von viel Landwirtschaft und reihenweise flachen Jurahügeln, von denen man nicht recht weiss, ob man sie als Berge bezeichnen darf. Das ist auch egal: Die Region steckt voller Geschichten, und die wollen wir entdecken. Die Kelten, die Römer und Grafen aus dem Mittelalter begegnen einem hier, dazu eine Kapelle für Pilger und Esoteriker, eine Lourdes-Grotte und ein Wald, der seit Jahren tun darf, was er will. Schliesslich verwandelt sich das Aargauer Fricktal im April in ein Meer blühender Kirschbäume. Also nichts wie hin zum Frühlingswandern.

Der Einstieg zur Tour in Wittnau ist unspektakulär. Die Aufmerksamkeit gilt primär dem Dorfbrunnen, eine der wenigen Trinkwasser-Tankstellen für heute. Beim näheren Betrachten entpuppt sich der Ort aber durchaus als sehenswert. Gepflegte Häuser aus der Zeit, da Wittnau ein Bauerndorf war, säumen die Hauptstrasse, die stattliche Kirche St. Marin zieht den Blick auf sich. Unübersehbar ist auch die Entwicklung zur Pendlergemeinde. Einfamilienhaus um Einfamilienhaus schiesst aus dem Boden, zeitlose Monotonie in ländlicher Idylle. Die Nähe zu Basel und Aarau ist greifbar.

Dichte Wälder zieren das Wittnauer Horn
Etwas monoton mutet auch der Höhenzug an, den wir erklimmen wollen. Dichte Wälder zieren das Wittnauer Horn und den angrenzenden Tiersteinberg, die steilen Hänge gehen oben in ein grosses, nahezu flaches Plateau über. Die Geländeform ist typisch für den Tafeljura: Dessen Hügel wurden nicht gefaltet, sondern aus Bruchschollen aufgeschichtet. Die enorme Ausdehnung dieser Plateaus werden wir bald kennen lernen.

Erst einmal bringt uns breite Feldwege an den Fuss des Wittnauer Horns und zur ersten Station des Tages: der Lourdes-Grotte. Sie überrascht und mutet gleichzeitig etwas fremd an, diese Stätte der Ruhe und Einkehr mitten im Wald, ausgestattet mit Sitzbänken, einem Brunnen, einer Grotte samt Marienfigur und dem Schild, das in goldenen Lettern verkündet: «Maria hilf». Wundersame Hilfe erhofften sich die Wittnauer, als sie den Platz erschufen, inspiriert vom Marienwunder im französischen Lourdes. Die Stätte bildet den Auftakt zum Kreuzweg, der in zwölf Stationen zur Buschbergkapelle auf dem Wittnauer Horn führt. Manch ein Gläubiger wird ihn betend und bittend gegangen sein.
Die Kelten besiedelten das Wittnauer Horn in der Bronze- und Eisenzeit
Das lassen wir bleiben und wählen stattdessen den Wanderweg zum Wittnauer Horn. Auf dem kurzen Aufstieg zeigt sich die Steilheit der Hänge im Tafeljura – Stufensteigen ist angesagt. Die abschüssigen, dicht bewaldeten Flanken haben sich einst die Kelten zunutze gemacht. Sie besiedelten das Wittnauer Horn in der Bronze- und Eisenzeit, also um 900 bis 600 vor Christus. Etwa 60 Häuser konnten nachgewiesen werden, geschützt durch eine drei Meter hohe Mauer aus Holz, Erde und Steinen. Später diente das Horn den Römern als Fluchtstätte und im frühen Mittel alter waren mehrere Völker hier oben zugegen. Warum man das alles weiss: Die Anlage wurde 1934/35 ausgehoben, im Rahmen der ersten wissenschaftlichen Grabung der Schweiz. Heute präsentiert sich das keltisch-römische Refugium als Ruine, gut versteckt im Wald und einen signalisierten Abstecher vom Weg wert.

Der Buschberg gilt als Kraftort
Auf das Wittnauer Horn folgt der Buschberg, und der will so gar nicht ins bisherige Bild passen. Gemüseanbau statt Wald, freie Sicht statt Baumstammdschungel. An diesem Ort soll ein Wunder geschehen sein, woran die kleine Kapelle erinnert. War sie einst Ziel von Pilgern, strömen nun die Esoteriker hin. Der Buschberg gilt als Kraftort, die Energie soll ungefiltert aus dem Boden treten.
Apropos Energie: Die braucht auch der Wanderer. In der Wildnis des vor uns liegenden Naturwaldreservats Tiersteinberg drängt sich Bräteln geradezu auf. Auf der Lothar Sturmfläche zwischen Buschberg und Fazedelle wächst schon mal der Bärlauch, um das Raclette oder die Wurst zu verfeinern. Auf dem Tiersteinberg selbst warten Feuerstellen auf Abenteurer. Der Weg über den langgezogenen Grat ist eine Freude für Waldliebhaber. Die Baumgemeinschaft wird seit 2002 sich selbst überlassen. Spannend zu beobachten ist der Kampf ums Licht: Dicht an dicht recken sich die Bäume der Sonne entgegen, einzig beim höchsten Punkt des Grats geben sie den Blick frei auf das Fricktal und den Schwarzwald.

Durchs Kirschblütenmeer im Fricktaler Chriesiland
Versteckt im Wald liegt unser nächstes Ziel, die Ruine Alt-Tierstein. Hier regierten zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert die Grafen von Tierstein. An den Grund mauern kann man erkennen, welch stattlicher Bau sie ihr Eigen nannten, samt Aussicht aufs Untertanen land. Durch dieses führt der Weg zurück in die Zivilisation, vorbei an nicht enden wollenden Obstbäumen. Das Fricktal ist Chriesiland, weiss und rosa leuchten die Blüten im April in der untergehenden Sonne. Ein stimmiges Bild, das man gerne im Herzen mit nach Hause trägt.
Tipps und Informationen zur Wanderung Aargauer Fricktal
Wanderroute: Wittnau–Grotte–Wittnauer Horn–Buschberg–Fazedelle–Tiersteinberg–Ruine Alt Tierstein–Sunnehof–Frick.
Anforderungen: Die Wanderung ist einfach und familientauglich, einzig kurze Abschnitte sind etwas steil. Die Wege sind bestens markiert, die Tour ist auch bei schlechtem Wetter gut machbar, da man oft im Wald unterwegs ist. Wanderzeit ohne Pausen knapp 4 Stunden.
An- und Rückreise: Mit dem Zug nach Frick oder Aarau, dann mit dem Postauto nach Wittnau Mitteldorf. Zurück ab Frick mit der Bahn.
Einkehr: In Wittnau und Frick. Unterwegs einige Rastplätze und Feuerstellen.
Karten: Swisstopo-Wanderkarte 1:50 000 Blatt Liestal (214T); Swisstopo-Landeskarte 1:25 000 Blatt Frick (1069).
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