Fledermaus mit grossen Ohren schaut zu uns

Nur was man kennt, kann man erfolgreich schützen. Seit rund 25 Jahren überwacht der Fledermausschutz jede der rund 100 Mausohrkolonien der Schweiz.

Die Sonne ist soeben rotglühend unter dem Horizont des Luzerner Rottals verschwunden. Vier Fledermausschützer rollen in der zunehmenden Dämmerung ihre Matten bei der Kapelle St. Ottilien in Buttisholz im Kanton Luzern in je einer Himmelsrichtung aus und legen sich gemütlich auf die Unterlagen rund um die Kapelle. Sie schlafen aber nicht, sie arbeiten: Sorgfältig platzieren sie spezielle Rotlichtscheinwerfer neben sich, die jeweils schwach gegen eine der vier Öffnungen – in jede Himmelsrichtung eine – im Dachstock über ihnen leuchten. Sie nehmen einen Handzähler, der auf Knopfdruck eine Einheit weiterzählt. Konzentriert spähen sie auf die Öffnung über sich. Nun heisst es warten. Plötzlich löst sich ein dunkler Schatten aus der nördlichen Öffnung und entschwindet blitzschnell in der zunehmenden Dunkelheit. Der Beobachter drückt auf den Zähler. Es ist das erste Grosse Mausohr, das heute Abend zur Jagd auf Beuteinsekten ausfliegt.

Mehrere Fledermäuse in einem Dachstock
Mausohrkolonie in einem Kirchdachstock

Mausohr-Fledermaus war beinahe ausgestorben

Mausohren sind typische Dachstockfledermäuse und können Kolonien mit über 1000 Tieren bilden. Wenn sich viele Individuen einer Art auf kleinem Raum ansammeln, kann im schlimmsten Fall durch ein einziges Ereignis eine ganze Population ausgelöscht werden. So soll es bis in die 1940erJahre fast in jedem Dorf im Mittelland eine Kolonie von Mausohren gegeben haben, danach brachen die Bestände wie bei vielen anderen Fledermausarten zusammen. Die Ursachen sind vielfältig: Pestizide, Lichtverschmutzung oder die Ausräumung der Landschaft trugen alle zum Rückgang bei. Nachweislich hauptverantwortlich war aber ein zunehmender Mangel an geeigneten Wochenstubenquartieren, wo die Weibchen ihre Jungen austragen und grossziehen. Bei Sanierungen an Gebäuden mit Mausohrquartieren wurden die Tiere während der Arbeiten häufig zu Hunderten getötet. Umbauten verhinderten die Nutzung als Wochenstube, oft wurden Mausohren ausgesperrt oder die Dachstöcke wurden mit giftigen Holzschutzmitteln imprägniert, welchen auch die Fledermäuse zum Opfer fielen. 

1985 gab es in der Schweiz nur noch knapp 100 Mausohrkolonien, die meisten davon in Kirchen und anderen öffentlichen Gebäuden. Die Art musste auf der Roten Liste als «stark gefährdet» eingestuft werden. Um das Aussterben zu verhindern, musste nun schnell gehandelt werden. Mit Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt entwickelte die Schweizerische Koordinationsstelle für Fledermausschutz ein Konzept zur Rettung der letzten Mausohrkolonien.

Schweizerkarte mit gelben Punkten
In der Schweiz kennen wir heute noch rund 100 Wochenstuben. Die meisten bestehen aus weniger als 100 Tieren. Während die kleinen Kolonien tendenziell kleiner werden, sind wenige grosse deutlich gewachsen, was insgesamt zu einer schweizweit positiven Bestandesentwicklung geführt hat.

Erfolgsfaktor ehrenamtliche Mitarbeitende

Da Mausohren jedes Jahr in denselben Dachstock zurückkehren, um ihre Jungen aufzuziehen, stand und steht der Fokus der Schutzanstrengungen auf dem funktionellen Erhalt der bestehenden Quartiergebäude. Von den Kantonen wurden in Zusammenarbeit mit den Koordinationsstellen ab den 1990erJahren kantonale Fledermausschutz Beauftragte eingesetzt, um den gesetzlich vorgegebenen Fledermausschutz zu vollziehen. Renovationen von Gebäuden mit Fledermausquartieren konnten von nun an fledermausfreundlich begleitet werden, eine wichtige Grundlage, um die Quartiere zu erhalten.

Um aber gewährleisten zu können, dass der Fledermausschutz von den Gebäudebesitzenden und der Bevölkerung mitgetragen wird, wurden aus der lokalen Bevölkerung ehrenamtlich Mitarbeitende rekrutiert und ausgebildet. Deren Aufgaben sind vielfältig: Sie verankern den Schutzgedanken in der Lokalbevölkerung und schaffen – nicht zuletzt mit ihren alljährlichen Quartierreinigungsaktionen – Goodwill bei den Gebäudebesitzenden. Für Behörden und Liegenschaftenbesitzende sind sie die kompetenten Ansprechpartner vor Ort. Bei baulichen Massnahmen bilden ihre minutiösen Aufzeichnungen die Basis für den fledermausfreundlichen Ablauf der Bauarbeiten, welche durch die kantonalen Fledermausschutz-Beauftragten begleitet werden. Zudem erfassen sie mehrmals pro Jahr nach einem standardisierten Verfahren die Anzahl erwachsener Tiere in den Kolonien, welche durch den Fledermausschutz zusammengetragen und ausgewertet wird. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Aufgrund von baulichen Veränderungen ging seit 1990 kein einziges Mausohrquartier mehr verloren.

Mann liegt am Boden in der Nacht vor einer Kirche
Die Anzahl erwachsener Tiere wird in Buttisholz bei deren Ausflug erfasst.
Kirche in der Abenddämmerung bei Sonnenschein
Kapelle St. Ottilien in Buttisholz.

Eindrückliche Bilanz des Monitoring

Der Fledermausschutz stellt für die Liegenschaftenbesitzenden Poster zu jeder Mausohrkolonie zur Verfügung. Diese werden zur Information der Bevölkerung vor Ort aufgehängt. Periodisch publiziert die Stiftung Fledermausschutz auch Broschüren, welche die verschiedenen Kolonien vorstellen. Für die Bevölkerung führt sie im Sommer Public Viewings – Live-Infrarotübertragungen aus den Wochenstuben – mit Volksfestcharakter durch. Allesamt wirksame Massnahmen zur erfolgreichen Verankerung des Fledermausschutzes.

Menschen vor einer Kirche in der Abenddämmerung
Public Viewing: Mittels im Dachstock installierter Infrarot-Kameras werden live Bilder aus dem Dachstock auf Grossleinwand übertragen.

Bereits seit 1995 liegen aus der östlichen Landeshälfte Zähldaten aus allen 65 Kolonien vor. Der Bestand hat sich seither von rund 8500 adulten Tieren auf rund 12 000 Tiere erholt. Angesichts einer Fortpflanzungsrate von durchschnittlich nur 0,5 bis 0,7 Jungtieren pro Weibchen und Jahr ist dies ein seltener Erfolg im Artenschutz.

Trotzdem bleibt die Art von unseren Schutzanstrengungen abhängig. In den letzten 25 Jahren unterlagen rund drei Viertel der Gebäude mit Mausohrwochenstuben einer baulichen Veränderung. Ohne fledermausschützerische Begleitung würde die grosse Mehrheit dieser Kolonien heute nicht mehr existieren. Es ist deshalb notwendig, diese Anstrengungen fortzuführen, auch im malerischen St. Ottilien. Besonders im Mittelland zeichnen sich zudem neue Bedrohungen ab: So nehmen die Bestände an Hallenwäldern, den Jagdlebensräumen der Mausohren, ab. Die zunehmende Lichtverschmutzung beeinträchtigt zudem ihre Flugkorridore, nachtdunkle Strukturen, auf welche die Mausohren beim Ausflug angewiesen sind.

Es ist fast 23 Uhr. Die vier Fledermausschützenden rollen ihre Matten zusammen. 583 Tiere haben sie an diesem Sommerabend gezählt. Sie übertragen die Zahlen in standardisierte Protokollblätter und treten den Heimweg an. In zwei Wochen findet die nächste Zählung statt.

Viele Feldermäuse in einem Dachstock
Mausohren sind typische Dachstockbewohner: Im Frühjahr bilden die Weibchen in Dachstöcken Kolonien und hängen frei an der Decke.

Die Stiftung Fledermausschutz

Das Hauptanliegen der Stiftung Fledermausschutz ist die Sympathiewerbung für Fledermäuse, denn nur wer Fledermäuse kennt, kann Fledermäuse schätzen und schützen. Die Stiftung Fledermausschutz ist die Drehscheibe für fledermauskundliche Informationen in der Deutschschweiz und im Tessin. Sie berät Behörden, Fachpersonen und die Bevölkerung bei der Umsetzung der bundesrechtlichen Schutzbestimmungen. Am Zoo Zürich unterhält sie die Ausstellung «Fledermaus-Welt» und bietet für die interessierte Bevölkerung zahlreiche Ausbildungslehrgänge und Events an, um Fledermäuse hautnah erleben zu können. Die Stiftung Fledermausschutz betreibt mit Unterstützung des Zoos Zürich und des Zürcher Tierschutzes das Fledermausschutz-Nottelefon und die Fledermaus-Notpflegestation. Darüber hinaus engagiert sie sich für die Umsetzung konkreter Schutzprojekte. Helfen Sie uns, unseren Fledermäusen zu helfen!
Spendenkonto: PC 80-7223-1, IBAN CH71 0900 0000 8000 7223 1
Stiftung Fledermausschutz
Zürichbergstrasse 221
8044 Zürich
Sekretariat: 044 254 26 80
Fledermausschutz-Nottelefon: 079 330 60 60
www.fledermausschutz.ch 

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NATURZYT Ausgabe Dezember 2023, Text Hubert Krättli Fotos Stiftung Fledermausschutz

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