Bergpanorama in der Abenddämmerung

„Das ist meine Wellness-Woche“ sagt Marlene Hegelé, 64, lachend. Die fröhliche Dame holt aus und schlägt mit dem Vorschlaghammer kraftvoll einen Nagel ins Kastanienholz. Der Stahlstift stabilisiert die Konstruktion aus drei Rundhölzern, einen sogenannten Dreibeinbock, den Marlene zusammen mit Fritz in den Steilhang oberhalb Langwies gezimmert hat. 

1987 hat das Bergwaldprojekt – noch unter dem Patronat von Greenpeace – in Malans GR das erste Mal mit Freiwilligen im Wald gearbeitet. Ende der 1980er Jahre war die Hochzeit von „Waldsterben“ und „saurem Regen“. Der Bergwald warf hohe politische und gesellschaftliche Wellen. 

Projektbeschrieb

In den ersten Publikationen des Bergwaldprojektes stand: „Wir haben uns daran gewöhnt, dem Wald Leistungen abzuverlangen: die Bahn soll pünktlich fahren, Touristen über die Autobahn rollen, Siedlungen weiterexistieren. Der Bergwald soll allen und immerdar Schutz gewähren vor Lawinen, Steinschlag und Hochwasser. Doch diese Leistung erfordert eine Gegenleistung: dauernde Pflege und Sorge“! Heute stirbt der Bergwald medial zwar nicht mehr und im Bereich Luftverschmutzung hat sich vieles verbessert. Forschende zeigen aber, dass Schadstoffe nach wie vor den Wald schwächen. Hat vor 25 Jahren das „Waldsterben“ die Menschen bewegt, ist es heute die Klimaerwärmung. Alle wissenschaftlichen Szenarien weisen darauf hin, dass die Schutzfunktion des Bergwaldes durch die Klimaerwärmung ernsthaft bedroht ist. Seit 1987 hat sich für den Bergwald also nicht viel geändert. Und immer noch schützt er Täler und Städte, ist Holzlieferant, bietet Erholung und bindet CO2.

Ältere Frau beim befestigen eines Zauns
"Das ist meine Wellness-Woche", sagte Marlene Hegelé, 64, lachend

Das Bergwaldprojekt hat sich aber seit seiner Gründung stark entwickelt. So haben über 34'000 Freiwillige durch das Bergwaldprojekt im Alpenraum 175'000 Arbeitstage zum Erhalt des Schutzwaldes geleistet. Sie haben ein persönliches und engagiertes Zeichen für den Umgang mit der Natur gesetzt. Darauf dürfen die Freiwilligen und das Bergwaldprojekt stolz sein.

Wo sich Naturschönheit und Naturkräfte begegnen, entsteht ein faszinierender Lebensraum. Sonnenwarmes Holz und Steinschlag, Vogelgezwitscher und Lawinen: Im Bergwald sind Idylle und Katastrophe auf engstem Raum verflochten. Heute erfahren die meisten Menschen den Wald nur als Erholungsraum. Der Bergwald leistet für die Gesellschaft aber noch weit mehr: Er produziert Holz, schützt vor Naturgefahren, ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen und verbessert die Qualität von Luft und Wasser. In einer Bergwaldprojekt-Woche erleben Freiwillige dieses sensible Nebeneinander hautnah.

Bärlauchfeld in einem Bergwald
Ein Bärlauchfeld in den Schweizer Bergwäldern, herrlich riechend.

Handeln, nicht diskutieren

Unter dem Motto: „Handeln, nicht diskutieren“ ermöglicht das Bergwaldprojekt seit 1987 als gemeinnützige Organisation Frauen und Männern von 18-88 Jahren einen einwöchigen Arbeitseinsatz zwischen April und Oktober an wunderschönen Orten in Schweizer Bergwäldern. Seit Beginn haben 34'000 Freiwillige in 175'000 Arbeitstagen in 6 Ländern (Schweiz, Österreich, Deutschland, Liechtenstein, Spanien, Ukraine) durch das Bergwaldprojekt nachhaltige Spuren zugunsten der Schutzwirkung des Waldes hinterlassen. 

Der ebenso einfachen wie wirkungsvollen Grundidee ist man auch nach all den Jahren mit stetigem Wachstum treu geblieben: Über die Natur wird nicht debattiert. Draussen im Bergwald, am Ort des Geschehens, fern jeder Theorie und Politik, wird persönlich und eigenverantwortlich gehandelt. 

Personen im Bergwald beim Arbeiten
Zahnärzte, Musiker, Schreiner und Hausfrauen in der aktiven Wellness-Woche im Bergwald.

Der Begehungsweg wird gebaut

Zahnärzte und Hausfrauen, Musiker, Schreiner und Studentinnen arbeiten eine Woche gemeinsam für dasselbe Ziel: hier wird ein Begehungsweg gebaut, dort der Jungwald gepflegt und damit ein Beitrag zur Erhaltung des Schutzwaldes wird geleistet. Neben körperlicher Arbeit im Freien wird auch viel Wissenswertes über den Wald vermittelt. In 26 Jahren haben durch das Bergwaldprojekt über 34'000 Freiwillige im Alpenraum 175'000 Arbeitstage zum Erhalt des Schutzwaldes erbracht. 

Personen beim Kochen in der Wildnis im Sommer
Zu einer richtigen Wellness-Woche gehört die 5-Sterne-Freiluft-Küche.

Die Sensibilisierung für den Lebensraum 

Die Sensibilisierung für den Lebensraum Bergwald geschieht „vor Ort“ und mit allen Sinnen: Beim Wegbau den Boden riechen, beim Pflanzen die Steilheit des Hanges erleben, einengendes Dickicht lichten, damit die Sonne wieder auf den Boden scheinen kann. Das faszinierende Ökosystem erleben die Teilnehmenden hautnah, stellen sich Fragen und lernen viel. Auch anregende Diskussionen und Spass in den bunt gemischten Gruppen ist für viele ein Grund immer wieder zu kommen, wie auch Marlene Hégelé. 

Das abschüssige Gelände erfordert Geschicklichkeit, Marlene sucht nach einem festen Tritt. Es riecht nach frischem Holz und Walderde „Eine Arbeitswoche im Bergwald kann ich nur empfehlen, ich erhole mich bestens“, sagt die tatkräftige Frau, die in ihrem Berufsalltag Kleider entwirft und schneidert.

Fotos: Ursi Di Giuliantionio, Nadja Simmen, Jaromir Kreiliger

Grosser Felsbrocken wird von Baum gehalten
Ein intakter Bergwald hilft Gefahren verhütten. Nicht zu denken, wäre dieser Felsbrocken im Dorf gelandet.

Das Bergwaldprojekt

Das Bergwaldprojekt ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Trin (GR) und führt Arbeitseinsätze mit forstlichen Laien im Bergwald durch. Eine Bergwaldprojekt-Woche ist für die Teilnehmenden kostenlos. Das Jahresprogramm findet sich auf www.bergwaldprojekt.ch oder Tel. 081 650 40 40. Anmeldungen sind ab sofort möglich!

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NATURZYT Ausgabe April 2013, Text Ursi Di Giulantionio, Fotos: Ursi Di Giuliantionio, Nadja Simmen, Jaromir Kreiliger

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