Tief Luft holen, die frische Meeresbrise einatmen und den Wellen lauschen: Der Norden Hollands bietet neben der unvergleichlichen Weite des Wattenmeers zahlreiche Naturschutzgebiete von atemberaubender Schönheit.
Wer hat schon nicht einmal davon geträumt, durch Wiesen voller Orchideen zu radeln, durch dichte Wälder zu wandern und unter dem nachtschwarzen Himmel die Sterne zu zählen? Um all das zu erleben, reist man am besten in den Norden der Niederlande, wo Nationalparks voller Naturwunder und Abenteuer warten. Denn abseits von Tulpen und Windmühlen zeigt sich Holland von seiner wilden Seite. Ein Tag am Meer ist hier wie kein zweiter: Die Gezeiten des Wattenmeers beherrschen die Abläufe allen Lebens zwischen Wasser und Land. Was nach dem Rückzug des Wassers wie eine karge Ödnis wirkt, ist dicht besiedelt. Unmengen bizarrer Tiere bewohnen das Gebiet zwischen der Hoch- und Niedrigwasserlinie – zwischen Felsen, in Gezeitentümpeln und im Schlick leben Krebse, Muscheln, Schnecken und Meereswürmer. Als Teil eines ganzen Ökosystems bilden sie eine wichtige Nahrungsgrundlage für Zug- und Seevögel. Auf einer geführten Wattwanderung erlebt man hautnah, mit welch eindrücklicher Anpassungsfähigkeit die Fauna in dieser ungewöhnlichen Umgebung überlebt.

Hollands unerwartete Natur
Heute liegt ein grosser Teil der Niederlande unter dem Meeresspiegel, und eine sorgfältige Wasserbewirtschaftung ist entscheidend. Dass aus der typisch niederländischen Beherrschung des Wassers Einzigartiges entstehen und sich die schönste Natur an unerwarteter Stelle spontan entwickeln kann, zeigt der Oostvaardersplassen: Beim ursprünglichen Entwurf 1968 als Industrie zone geplant, ist der Nationalpark «Nieuw Land» in der Nähe von Amsterdam heute ein Gebiet, in dem Zehntausende Vögel brüten. Seine Entstehung verdankt der künstliche Park dem grössten Landgewinnungsprojekt der Welt, das dazu führte, dass die neue Provinz Flevoland aus dem Wasser entstand.
Für das geplante Industriegebiet bestand dann doch kein Bedarf, worauf das Sumpfgebiet ungenutzt sich selbst überlassen wurde. Die Natur eroberte das neue Land; heute ist es ein wasserreiches Naturschutzgebiet, das Tausende von Vögeln, grasende Heckenrinderherden und halbwilde Konik-Pferde beherbergt. Der König der Lüfte ist hier ganz klar der Seeadler, der auch das Wahrzeichen des Nationalparks darstellt.

Pinke extravaganz - Zwergflamingos
Aussergewöhnliche Vögel lassen sich auch im Naturschutzgebiet Zwillbrocker Venn beobachten: Wer einen kleinen Abstecher über die Grenze zur deutschen Gemeinde Venn macht, stösst in den Sümpfen und Seen auf Flamingos. Seit 1983 brüten hier Chilenische, Europäische, Karibische und Zwergflamingos. Die chilenischen und karibischen Flamingos sind vermutlich irgendwann aus der Gefangenschaft entkommen. Der Europäische Flamingo hingegen ist heimisch und stammt vermutlich aus Südeuropa. Damit ist das Zwillbrocker Venn der nördlichste Brutplatz des Europäischen Flamingos weltweit. Der Bestand ist familiär und umfasst etwa 40 Tiere. Von Mitte März bis September sind sie in der Gegend anzutreffen. Wird es kälter, siedeln sie ans Grevelingenmeer südwestlich von Rotterdam um, wo sie die Wintermonate verbringen. Das Grevelingen meer ist ein Salzwassersee und friert daher im Winter nicht so leicht zu.

Faszinierendes Nachtleben Hollands
Ein besonderes Erlebnis wartet im Seegebiet Lauwersmeer, denn hier gibt es einen Ort, an dem es nachts so dunkel wird, dass man buchstäblich Sterne zählen kann. Der «Dark Sky Park» ist nicht nur für uns Menschen schön, auch Tiere profitieren vom Schutz, den die Dunkelheit bietet. Das Nacht leben ist hier deshalb ziemlich wild, und es kann durchaus sein, dass einem während einer astronomischen Exkursion Motten und Fledermäuse um den Kopf fliegen. Doch auch tagsüber hat der Nationalpark Lauwersmeer, der an der Grenze der Provinzen Friesland und Groningen liegt, einiges zu bieten. Das rund 60 Quadratkilometer grosse Gebiet umfasst sowohl das Lauwersmeer selbst als auch grosse Teile des angrenzenden Landes. Das gesamte Gebiet ist als Mündungssystem bekannt, an dem der Fluss Lauwers ins Meer mündet.
Vor 1969 hatte dieses Gebiet noch eine offene Verbindung zum Meer. Aus Angst vor Überschwemmungen wurde ein Damm gebaut, der dieses Salzwiesengebiet in ein Panorama-Süsswasser-Feuchtgebiet mit Schilf, Wäldern und grossen Wasserflächen verwandelte. Das offene Wasser, Grasland, Laubwälder, Orchideenfelder, flache Teiche und dichte Schilfbüsche machen Lauwersmeer zu einem natürlichen Lebensraum für über 300 Vogelarten. Der Park verfügt über mehrere Verstecke und Türme zur Vogelbeobachtung, die einen Panoramablick über die Landschaft bieten.
Pause vom urbanen Trubel
Maritime Natur mit Salzwiesen und Stränden kann man ebenfalls in den Dünen von Texel entdecken. Der kleine und entspannte Nationalpark auf der Insel Texel liegt direkt vor der Nordküste der Niederlande; der westliche Rand des Parks grenzt an die Nordsee und bringt eine Vielzahl interessanter Meeres- und Pflanzenarten mit sich. Dank der weitgehend ebenen Fläche lässt sich die frische Meeresluft ganz einfach auf einem der zahlreichen Wander- oder Radwege geniessen. Die Dünen von Texel sind Heimat einer vielfältigen Kombination aus Vögeln, Fischen, Reptilien und Salzwasserpflanzen.
Auch Orchideen wie das Gefleckte Knabenkraut, das im Rest der Niederlande eine Seltenheit ist, sind überall auf der Insel zu finden. Entlang der Küste wachsen zwischen den Dünen salztolerante Pflanzen wie der Queller, der Meerflieder und die Strandaster. Erstaunlicherweise sind auch Schneeglöckchen auf Texel weit verbreitet, nachdem sie in den 1950erJahren auf der Insel eingeführt wurden. Ursprünglich für den Anbau und den Verkauf kultiviert, sind die Zwiebelblüher verwildert und bedecken den Waldboden von Texel im Frühling mit einer weissen Decke. Texel ist ein ausgezeichneter Tagesausflug, wenn man dem städtischen Trubel Amsterdams entfliehen möchte. Für mehrtägige Wanderabenteuer oder Velotouren eignen sich all die wilden Naturlandschaft en der Niederlande bestens, denn praktischerweise sind alle Gebiete ziemlich fl ach. Darum heisst es: Wanderschuhe schüren, Rucksack packen und die stille Schönheit der Naturparks entdecken. Die niederländische Wildnis ruft!
Weitere schöne Naturregionen die es zu erleben gibt:
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NATURZYT Ausgabe Dezember 2023, Text Helen Weiss