Blick durch Äste zum Creux du van mit Felsen und Bäumen

Ein Gefühl wie fliegen kommt auf, wenn man der Krete des Creux du Van entlangwandert, dem gewaltigen Felskessel im Neuenburger Jura. Eine Tour durch das älteste Naturschutzgebiet der Schweiz bietet aber mehr als spektakuläre Tief- und Weitblicke: Begegnungen mit Steinböcken, Gämsen und Falken zum Beispiel. Und einen unvergesslichen Sonnenauf- und -untergang.

Ein Schritt. Noch ein Schritt. Und dann – vorsichtig beuge ich mich nach vorn, wage einen Blick über den Wiesenrand und staune. Vor und vor allem unter mir breitet sich ein gewaltiger Felsenkessel aus. 500 Meter geht es jäh hinunter, zuerst über 160 Meter hohe, senkrechte Kalkwände, dann über steilen Tannen- und Buchenwald. Der Creux du Van im Herzen des Val de Travers ist eine gewaltige, nahezu halbrunde Naturarena, von deren Rand man einen beklemmenden Blick in die Tiefe und einen befreienden in die Weite erlebt, weit über den Neuenburger- und Bielersee hinaus bis zu den Alpen. Beeindruckend sind auch die Ausmasse: Der Creux du Van ist einen Kilometer breit und vier lang, das bedeutet eine Stunde Wandern am Abgrund, je nach Wahl des Weges näher oder weiter weg vom luftigen Nichts.

Noiraigue – das Tor zu den Sehenswürdigkeiten

Bevor es soweit ist, heisst es aufsteigen. Der Ausgangspunkt zur Tour, Noiraigue, liegt 700 Höhenmeter weiter unten – ein schmuckes Dorf, das an schönen Wochenenden aus allen Nähten platzt. Hier startet nicht nur die beliebte Wanderung zum Creux du Van, sondern auch der Weg durch die Areuseschlucht, einem weiteren touristischen Höhepunkt des Neuenburger Jura. Also ziehen wir mit vielen anderen los und erreichen auf breiten Waldwegen Les Oeuillons, wo der eigentliche Aufstieg zum Felsenkessel beginnt. Wer noch einer Stärkung bedarf, ist in der lauschigen Schenke des Bauernhofs bestens bedient. Ansonsten heisst es tief durchatmen und auf den «Sentier des 14 Contours» einbiegen, den Weg der 14 Haarnadelkurven.

Menschen nah am Abgrund der steilen Felswände des Creux du Van
Hart am Abgrund: Der Creux du Van bietet zahllose spektakuläre Aussichtsplätze über der Steilwand.

Wo die grüne Fee zu Hause ist

Schmal und steil führt er über die waldigen Abhänge des Creux du Van in die Höhe, Kehre um Kehre, mit guter Sicht ins Val de Travers. Bekannt geworden ist dieses durch seine Asphaltminen, das Uhrenhandwerk und die Grüne Fee: Absinth. Die wermuthaltige Spirituose wird noch heute in zahlreichen Brennereien im Tal hergestellt und erlebt seit einigen Jahren eine Renaissance. 1910 wurden Herstellung und Genuss von Absinth in der Schweiz per Volksabstimmung verboten, nachdem bestimmte Inhaltsstoffe als Auslöser für einen Familienmord verantwortlich gemacht worden waren. Das Verbot hielt sich bis 2005, seither wird Absinth wieder legal hergestellt. Mit dem Degustieren sollte man aber warten bis zum Schluss der Tour, sicherer Tritt ist gefragt am Creux du Van.

Steile Felswände des Creux du van
Logenplatz über dem Felsenkessel. Mit etwas Glück entdeckt man in den Steilwänden Steinböcke und Gämsen.

An der Mauer des Friedens

Gut eine Stunde nach dem Start in Les Oeuillons ist die 14. Haarnadelkurve geschafft. Ins Blickfeld rücken – eine blumenübersäte Wiese, eine Mutterkuhherde und ein typischer Jurabauernhof. Auffallend ist einzig die Trockensteinmauer, welche die Wiese begrenzt. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Fronarbeit von Menschen aus aller Welt erbaut, heisst deshalb Mauer des Friedens und schützt Mensch und Tier davor, ahnungslos über die Wiesenkante hinaus ins Nichts zu treten. Ein Streifen Land ist zwischen Mauer und Felsenkante des Creux du Van übrig geblieben, breit genug für den Wanderweg den Steilwänden entlang. Wem das zu kribbelig ist, der bleibt einfach auf der anderen Seite der Mauer.

Mauer des Friedens mit Bäumen und steilen Felsenwänden des Creux du Van
Wandern am Abgrund im letzten Abendlicht: Der Weg verläuft zwischen der Mauer des Friedens und den Steilwänden.

Der Schweiz ältestes Naturschutzgebiet

Den Mut zusammenzunehmen lohnt sich nicht nur der Aussicht und Tiefblicke wegen. In den steilen Hängen und dichten Wäldern leben Falken, Hirsche, Gämsen und Steinböcke, zudem wurden in den 70er- Jahren zwei Luchspaare ausgesetzt. Sie alle fühlen sich am Creux du Van pudelwohl, denn das älteste Naturschutzgebiet der Schweiz ist zugleich Jagdbanngebiet. Dessen Gründung geht auf den Club Jurassien zurück, einen Verein namhafter Neuenburger, der 1870 am Creux du Van 24,5 Hektaren Land erwarb und unter Schutz stellte. Das Gebiet ist mittlerweile auf 25 Quadratkilometer angewachsen und steht unter der Schirmherrschaft von Bund und Kanton. Tagsüber ist den Tieren meist zu viel Betrieb, sie ziehen sich zurück. Abends und frühmorgens jedoch lassen sie sich aus nächster Nähe beobachten. Das spricht für eine Übernachtung in einem der drei Berggasthäuser, allesamt Bauernhöfe mit urigen Zimmern und Massenlagern. Und noch etwas lohnt die Zweitagestour: der Sonnenuntergang und der Sonnenaufgang über dem Creux du Van. Beide sind, gutes Wetter vorausgesetzt, märchenhaft.

Steinbrücke über die Areuse im Sonnenlicht
Gelungener Abschluss: Wer die Tour in Champ-du-Moulin beendet, nimmt noch einen kleinen Teil der Areuseschlucht mit, zum Beispiel den Pont de Brot.

Vom Felsenkessel in die Schlucht

Der Rückweg ins Tal steht dem Aufstieg in nichts nach. Er ist anfangs steil und rutschig, später breit und gemütlich. Bei der Ferme Robert mit ihrem kleinen Informationszentrum zum Naturschutzgebiet könnte man direkt nach Noiraigue zurückkehren. Spannender ist aber das Kontrastprogramm zum Felsenkessel: die Areuseschlucht. Auf dem Weg nach Champ-du-Moulin erwarten uns eine enge Klus, zwei schwindelerregende Brücken und tosende Wasserfälle. Und zum Abschluss das historische Restaurant «La Truite» mit seinen Fischspezialitäten – und mit Blick auf den Creux du Van.

Weitere schöne Herbstwanderungen in der Schweiz die entdeckt werden können:

Triftbrücke und Triftschlucht: Schaukeln über der Schlucht

Walensee: Wandern an der Ostschweizer Riviera

Wandern an der Doubs mit Eisvogel und Wasseramsel


NATURZYT Ausgabe September 2014, Text/Fotos Daniel Fleuti

 

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