Sie ist die erste Stimme im Wiesenkonzert: An warmen Sommertagen stimmt die Feldgrille ihr unverkennbares Zirpen an. Die unermüdliche Geigerin liebt bunte, artenreiche Wiesen und Weiden – ihr Lebensraum wird leider immer kleiner.
Ein plumper Körper auf sechs dünnen Beinen, ein bulliger Kopf mit überlangen Fühlern – die Feldgrille (Gryllus campestris) würde bei einem tierischen Schönheitswettbewerb kaum das Krönchen holen. Weitaus attraktiver ist hingegen ihre Musik. Das melodiöse Zirpen weckt Erinnerungen an laue Sommerabende und duftende Blumenwiesen. Die Feldgrille ist als begabte Wiesen-Musikerin bekannt: Während die Ameise La Fontaines Fabel «Die Grille und die Ameise» rastlos Wintervorräte hortet, geigt und vertrödelt die Grille den ganzen Sommer als sorgloser Taugenichts.

Tatsächlich liebt der Grillenmann den grossen Auftritt: Auf der vor seiner Höhle angelegten Bühne präsentiert er sich wie ein Meistergeiger vor grossem Publikum. Sein Körper und seine Flügel erinnern dabei an einen schwarzen, mit feinem Goldsamt besetzten Frack. Das Konzert, das er vom späten Vormittag bis in die warmen Abendstunden anstimmt, ist unvergleichlich. Das Zirpen entsteht, indem er die Flügel rasch gegeneinander bewegt, wobei eine glatte Schrillkante über eine sägeblattähnliche Schrillader streift . Eine Membran an der Flügelbasis verstärkt den Klang wie ein Lautsprecher. Die angehobenen Flügel und der Eingang zur eigenen Wohnröhre dienen zudem als Schalltrichter, sodass die Musik im offenen Gelände fast 100 Meter weit zu hören ist.
Das Zirpen dient nicht nur der musikalischen Darbietung
Die musikalische Darbietung dient nicht nur der Anlockung paarungsbereiter Weibchen; mit dem lauten «Zri, Zri, Zri» markiert der Grillenmann auch sein Revier. Sobald ein fremdes Männchen den Vorplatz der Höhle betritt, wird die Bühne zur Arena, und das liebliche Geigenkonzert artet in einen schrillen Rivalengesang aus. Reicht die akustische Drohung nicht aus, kommt es zur wüsten Schlägerei: Die Rivalen rennen wie zwei Ziegenböcke aufeinander los oder versuchen sich nach Sumo-Manier gegenseitig umzuwerfen. Wie Peitschen schlagen sich die Kontrahenten gegenseitig die Fühler um die Ohren, es wird gerempelt, geschubst und gebissen, bis einer der beiden das Feld räumt. Das Kampfgeschick der Feldgrille wurde übrigens schon vor 2000 Jahren in China geschätzt: In vielen Provinzen hatten Grillen-Zweikämpfe Tradition und besonders gute «Kampfgrillen» wurden hoch gehandelt.

In Asien gelten Grillen wegen ihrer Musik übrigens als beliebte Haustiere. Damit die Menschen jederzeit in den Genuss des Gezirpes kommen können, werden Grillenmännchen in kostbaren Bambuskäfigen, aber auch in kunstvoll geschnitzten kleinen Häuschen im Zimmer gehalten. Wer einmal eine verirrte Grille in den eigenen vier Wänden hatte, weiss, wie laut sie geigt, wenn sie ganz nah ist. Und dass jede Grille ihr ganz eigenes Lied singt. Im Gegensatz zu den zwar nett zirpenden Zikaden sind Grillen Individualisten – und ein Erlebnis für sich.
Weibliche Grillen sind stumm
Weitaus zärtlicher werben die schlagkräftigen Machos um die weibliche Zuneigung. Die weiblichen Grillen sind stumm – äusserlich sind sie gut an ihrer so genannten Legeröhre zwischen den Hinterbeinen erkennbar. Die sieht beinahe wie ein Stachel aus, ist jedoch nur zum Eierlegen geeignet. Die Weibchen hören mit den Ohren auf den beiden Vorderbeinen. Mit jeweils einem grossen und kleinen Trommelfell kann das paarungsbereite Weibchen den Partner in bis zu zehn Meter Entfernung orten, um ihm dann zielsicher entgegenzulaufen. Betritt die Angebetete die Bühne, wechselt der Geiger schlagartig das Thema. Statt des eintönigen Fernrufs stimmt er ein nur für die Grillendame hörbares, hingebungsvolles Liebesgeflüster an. Der Werbegesang bildet die Ouvertüre zur Paarung, bei der das Weibchen den Auserwählten besteigt. Nach erfolgreicher Übergabe des Spermienpakets bleiben beide zunächst zu einem langen Nachspiel zusammen. Dann legt das Weibchen ihre Eier in die Erde ab und macht sich alsbald aus dem Staub.

Die Jugend verbringen die Feldgrillen ungebunden
Nach zwei bis drei Wochen schlüpfen aus den rund hundert Eiern die Larven, die ihren Eltern bereits ähnlich sehen, aber noch keine Flügel tragen. Ihre Jugend verbringen die kleinen Feldgrillen ungebunden und ohne elterliche Aufsicht: Sie vagabundieren während des Spätsommers durch die Wiesen, fressen, was das Zeug hält, und häuten sich rund zehnmal. Wird es kühler, graben sie sich einen Erdgang und ziehen sich für den Winter darin zurück. Im darauffolgenden Frühling wechseln sie dann noch ein- oder zweimal die Haut und sind Anfang Mai erwachsen. Während sich die meisten heimischen Heuschrecken erst ab etwa Mitte Juli hören lassen und dann bis in den September hinein musizieren, legt die Feldgrille bereits im Mai los und zirpt dann durch bis Juli. Nur die fleissigsten Musiker pflanzen sich fort. Für die Grillenmänner macht es daher Sinn, möglichst oft zu musizieren. Vorsorge für die kalte Jahreszeit, wie La Fontaines Fabel es nahelegt, wäre hingegen reine Zeitverschwendung, denn erwachsene Feldgrillen leben ohnehin nur eine Saison.


Ein fremder Laut oder Schatten und die Feldgrille ist stumm.
Zwar sind ihr Name und ihr Zirpen für viele ein Begriff, zu Gesicht bekommt man die scheue Feldgrille jedoch kaum. Wer die rund zwei Zentimeter kleinen Wiesenbewohner sehen will, muss flink sein. Denn ein fremder Laut oder ein Schatten reichen aus, dass die Geiger verstummen und sich blitzschnell in ihre Wohnröhre verziehen. Wer etwas Geduld hat, bleibt still sitzen, bis die Feldgrille sich wieder hervorwagt. Man kann sie aber auch mittels eines Grashalms aus ihrer Höhle kitzeln. Der Hausherr wird ihn angreifen und sich wie an einer Angel hervorziehen lassen. Die beruhigende Wirkung eines Grillenkonzerts kann man längst nicht mehr überall im Land erleben. Zwar gehört die Feldgrille nicht zu jenen 40 Prozent der Heuschreckenarten, die als gefährdet gelten. Doch weil die Tiere nicht fliegen können, leben viele Populationen quasi auf Inseln. Da Grillen ortstreu sind, können sie auch nicht einfach abwandern. Bereits bei Distanzen von 500 Metern zur nächsten Kolonie sitzen sie auf verlorenem Posten. Dadurch wird die an sich häufige Art verletzlich, lokal kann die Feldgrille aussterben.

Gefährdung der Feldgrille durch den Menschen
Locker wachsende Blumenwiesen, die bevorzugten heimatlichen Gefilde der Feldgrille, werden immer seltener. Ihre Vorliebe für sonnige Hanglagen muss das Insekt leider mit Immobilien-Unternehmen und Ortsplanern teilen. Magerwiesen fallen nicht nur vermehrt der Zersiedlung zum Opfer, auch die Intensivierung der Landwirtschaft und die Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Hänge machen dem Insekt zu schaffen. Heute hat die Feldgrille deshalb eine weitaus wichtigere Rolle, als sich bloss auf der Naturbühne zu präsentieren. Sie ist sozusagen Botschafterin und Interessenvertreterin für Flora und Fauna in ihrem Lebensraum, denn wo das Lied der Grille verstummt, verlieren auch viele weitere Tier- und Pflanzenarten ihre Lebensgrundlage..

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NATURZYT Ausgabe Juni 2024, Text Helen Weiss, Fotos Envato, pxhere, pixabay, AdobeStock